Hallo zusammen,
this is it. Mein letzter Eintrag. Ich sitze auf der Fähre von Griechenland nach Italien und schreibe einen kleinen Abschiedsbrief. Die Klimaanlage surrt, ich sitze frisch geduscht im Bett und bin ziemlich im Eimer von der Fahrt. Fünf Stunden bin ich durch die griechische Nacht gefahren zum Hafen in Igoumenitsa. Anstrengend. Auf der Fähre wollte ich einfach nur schlafen, aber das war natürlich naiv. Keine Kabine, dreckige Toiletten, der fettigste Ranz-Bacon im Bauch, den ich je gegessen habe, und gefühlt zwei Liter Redbull und drei Kaffee, sowie ein hustender und schniefender Sitznachbar lassen an Schlafen nicht denken. Und dass, obwohl ich nach der eintägigen Überfahrt noch 10 Stunden Fahrt habe nach Deutschland. Wie ich trotzdem zu der Klimaanlage komme? Ok, ich gestehe, ich habe mir selber ein verspätetes Geburtstagsgeschenk gemacht und den Kerl an der Rezeption auf einen Preis für eine Kabine runter gehandelt, der halbwegs erträglich war. Am Anfang war er sehr sperrig. Als ich dann auf Griechisch gewechselt habe und ein bisschen mit ihm geschnackt habe, hat es dann geklappt. Ich habe unerlaubter Weise noch zwei Münchener ins Zimmer geschleust, die ich auf dem Schiff kennengelernt habe und die so dermaßen fertig aussahen, dass ich ihnen die leeren beiden Betten angeboten habe.
Der anfängliche Griesgram an der Rezeption, der dann in seiner Landessprache sehr freundlich war, bringt mich gerade auf eine Idee. Anstatt hier in Lobhudeleien zu verfallen – jeder der Leute in Saloniki weiß, wie dankbar ich bin – möchte ich mal ein paar Worte an Griechenland verschwenden. Dieses griechische Lebensgefühl, das mir so sehr gefällt und dass ich in den letzten 20 Jahren hier im Land kennen, in Athen schätzen und hier in Saloniki irgendwie auch lieben gelernt habe.
In Griechenland tickt die Uhr anders. Keine neue Erkenntnis, nämlich eine Stunde nach der deutschen. Das Vorurteil, Griechen stehen auch eine Stunde später auf, kann ich nicht bestätigen. Ich, ja ich bin immer eine Stunde später um 9 aufgestanden. Es war manchmal so heiß, dass ich nachts kaum schlafen konnte und dann bin ich nicht früher hoch gekommen. Der faule Deutsche in Griechenland, hat doch auch was.
Das Vorurteil, dass Griechen es mit der verabredeten Zeit nicht ganz so genau nehmen, kann ich aber so was von bestätigen. Besonders abends, wenn man sich — immer recht spät — zum Essen oder auf ein Bier trifft.
Ein Deutscher in Griechenland zu sein, ist aber auch eine gute Sache. Warum? Weil man immer einen Gesprächsanfang hat. Jeder 10te hat laut AA Verbindungen nach Deutschland, hier in Saloniki vermutlich noch mehr. Nicht selten hat man im Supermarkt, am Kiosk oder im Café nach zwei Minuten schon Fotos der Kinder des Gegenübers in der Hand, die in Deutschland studieren oder arbeiten oder ähnliches. Für mich ein Problem. Viele qualifizierte, gehen, da sie keine Arbeit finden, nach Deutschland oder ins Ausland. Die Leute, die das Land eigentlich braucht, um auf die Beine zu kommen, kehren Griechenland schweren Herzens den Rücken. Mancher nennt das abstrakt Brain Drain, ich nenne das eine Tragödie, weil ich viel zu viele Geschichten von griechischen Bekannten kenne, die nach einem Abschluss in Athen, zurück auf’s Dorf zu ihren Eltern müssen und als Kellner arbeiten, da sie keine Arbeit finden.
Nicht selten habe ich, tatsächlich eben an der Tankstelle auf der Hinfahrt gehört. „Du arbeitest hier in Griechenland? Bist du verrückt?. Wir Griechen gehen nach Deutschland, um zu arbeiten. Ihr Deutschen kommt nach Griechenland“, hat er gesagt und klopft mir auf die Schulter.
Das ist nämlich auch so ein Ding. Die griechische Herzlichkeit. Es dauert alles etwas länger, aber die Kultur des Gebens ist hier sehr groß. Man bekommt immer einen gratis Nachtisch angeboten, und wenn man selber Tanken will ohne auf den Tankwart zu warten, gleicht das einer Majestätsbeleidigung. Ich will das mit der Freundlichkeit und Herzlichkeit jetzt auch nicht überstrapazieren, auch bei uns gibt es unfassbar viele zuvorkommende Menschen, aber es passiert dir irgendwie so oft viele Kleinigkeiten, dass sich das ganze zu einem angenehmen Griechenlandbild zusammenfügt. Das azurblaue Meer tut dann sein Übriges.
Anders kann man sich auch nicht erklären, dass die griechische Zivilgesellschaft einen unfassbaren Beitrag geleistet hat, als viele Griechen 1.000.000 Millionen, die auf Lesvos angekommen sind, Tür,Tor und Toilette öffnete. Viele Griechen in ihren Familien aufgrund unterschiedlichster Tragödien selber Fluchtgeschichten haben, was die Bevölkerung empfänglich für vielerlei Art der humanitären Hilfe macht. Wenn man überlegt, dass in unserem gesunden Deutschland die AfD schon zu viele Stimmen hat, dann muss man den Leuten in einem Land, das von Flüchtlings- und Wirtschaftskrise doppelt und dreifach getroffen ist, einfach nur Respekt zollen, das hier noch nicht Land unter ist. Ja, die Goldene Morgenröte hat schon 7 bis 10 Prozent meine ich, aber in Anbetracht der Not der Leute finde ich das immer noch recht wenig im Vergleich zu einer AfD bei den letzten Landtagswahlen.
Nun ja, Stichwort angenehmes Gesamtbild – auch die Strände sind mehr als angenehm. Wirklich. Nur das Problem ist, dass viele über die Landesgrenzen nicht wissen, wie vielfältig die Küsten hier in Griechenland sind und was das Land darüber hinaus zu bieten hat. Du kannst wunderschön wandern, du kannst Skifahren, du hast wirklich einfaches, aber nicht minder leckeres Essen, um mit den Fleischtomaten, dem Oregano und dem Feta nur einige zu nennen. Dass griechische Oliven teilweise hier nur gepflückt, aber in Spanien erst weiterverarbeitet werden zeigt eines der Probleme, der griechischen Wirtschaft.
Last but not least: Der Straßenverkehr. Im Straßenverkehr spiegelt sich vieles der griechischen Mentalität. Oft ist es so, dass auf der Autobahn zwischen den Mautstellen, gerade am Wochenende, wenn alle Richtung Meer fahren, Stau ist. Dann wird der Standstreifen zur vierten Spur. Was die griechische Volksseele aber nicht versteht ist, dass alle, die rechts überholen und fahren, sich bei der verengten Fahrbahn an der nächsten Ausfahrt wieder einfädeln müssen. Da wird dann kaum einer reingelassen und so entstehen diese herrlich langen Staus. Aber in dem kurzen Stück wo ich rechts an allen vorbei rase bin ich ja schneller, ich habe den Vorteil. Dass alle, quasi das große Ganze profitiert, wenn sich alle an die Regeln halten – immerhin blinkt alle paar Kilometer auf den digitalen Anzeigetafeln der Hinweis, nicht auf dem Standstreifen zu fahren und alle fahren grinsend drunter her – dass geht allen hier ein bisschen ab.
Eine ähnliche Sache ist das mit den Kreisverkehren, was ich immer noch nicht richtig verstanden habe. Hier in Griechenland, wartet man, wenn man im Kreisverkehr ist, damit die Autos von außen einfahren können. Auf meine Frage an Sofia, eine griechische Helferin, warum zur Hölle das sei, meinte sie Achsel zuckend: „Weiß ich auch nicht. Das hat sich so eingebürgert. Komm schon, wir sind Griechen, wir denken zu erst an uns selbst. Ich glaube, wenn die Autos außerhalb des Kreisverkehrs warten müssten, dann würden die noch morgen dort stehen.“ Ich will das hier jetzt nicht auf die Bereitschaft zum Steuerzahlen oder sonst welche größeren Probleme in Griechenland übertragen, das wäre ein bisschen billig. Aber ein bisschen von der „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“-Mentalität, sehe ich hier schon.
Zusätzlich zu den Dingen oben gibt’s es im Straßenverkehr im Grunde auch nur drei Regeln. Die erste ist: Es gibt keine Regeln. Sollte Regel eins nicht genügen, greif zu Regel zwei: Hupe! Immer. Aus Wut, aus Freude, egal, aber hupe. Drittens: Wenn du mal was ausladen musst, ist es kein Problem auf offener Straße den Verkehr zu blockieren. Es ist ja nur kurz, das regelt sich schon. Wie alles eben in Griechenland, das wird schon J
So, die Fähre fährt jetzt in Venedig ein. Das war es. Sorry, dass der letzte Eintrag etwas länger war. Ich hoffe, mit diesen paar kleinen Anekdoten konnte ich zeigen, wie sehr ich dieses kleine verrückte Land ins Herz geschlossen habe. Mir bleibt nichts anderes, als allen einfach danke zu sagen, die das Ganze hier in Saloniki ermöglicht haben. Ihr wisst, dass ihr gemeint seid. Außerdem hoffe ich, es hat euch allen Spaß gemacht, meine kleinen Berichte zu lesen. Ich wollte keinen bekehren, keinem meine Meinung aufzwingen oder sonst was. Ich habe eigentlich immer nur geschrieben, was ich erlebt habe und was mir wichtig schien. Und ich danke euch wirklich für das zahlreiche Feedback aus Deutschland!
Jetzt muss ich mich nur noch, wie Dorothee es in einer Mail geschrieben hat, in der anderen, deutsche Alltagswelt und schwedischen Studienwelt ankommen. Das ist aber, glaube ich, schon auf der Hinfahrt passiert mit dem ersten deutschen, den ich getroffen habe. Ich habe nämlich an einer Raststätte zwischen zwei krumm parkenden Autos geparkt und mich dazwischen gequetscht. Als ich zurückkommen bin, waren die beiden anderen Fahrzeuge weg, nur mein Auto hat drei Parkplätze blockiert. Ein deutsches Kennzeichen aus Lübeck, parkt mühsam in der kleinen Lücke neben meinem französischen Flitzer ein. Der deutsche Familienvater quetscht sich aus der Fahrertür, wirft mir einen bösen Blick zu und sagt: „Bevor man in die weite Welt nach Europa fährt, muss man erst mal einparken lernen.“ Dass der Gute nicht weiß, dass es eben nicht anders ging, verzeihe ich ihm. Dass er trotz Urlaub in Griechenland so schlechte Laune hat, tut mir auch irgendwie Leid. Ich grinse ihn an, schüttle meinen Kopf und setze mich ins Auto. Spätestens da wusste ich: Das grummelige Deutschland hat mich wieder.
Viele Grüße,
Helge