Hallo zusammen,
„wieso lassen die ihre Kinder und ihre Familie alleine fliehen, oder bleiben zurück? Das verstehe ich nicht“. Einen Satz, den man in der Diskussion in Deutschland häufig hört. Und aus der Perspektive eines jeden Familienvaters, auch wenn ich keiner bin, egal, ob aus Deutschland oder sonst woher, völlig verständlich ist.
Ich mag mal versuchen, dazu kurz Stellung zu beziehen heute mit einer persönlichen Fluchtgeschichte von…einem Syrer. Ich weiß, ich habe in dem Eintrag davor geschrieben, dass ich das mit den persönlichen Geschichten etwas schwierig finde. Aber wer glaubt, dass ich damit eine Art Erzählverbot von einzelnen Lebensgeschichten meinte, der hat mich missverstanden. Mir ging es vorher um diese penetrante Fragerei nach der persönlichen Flucht, noch bevor man jemanden überhaupt kennt oder ähnliches. Mir wurde die Geschichte vertraulich erzählt und ich möchte mit ihr einfach mit Bedacht umgehen und sie auch nur recht kurz erzählen.
Die Geschichte von..dem H. – ich schreibe den Namen nicht, weil..sagen wir einfach, ich möchte es nicht, der Name ist hier auch mal unerheblich. Er hatte eine eigene Fabrik in Syrien mit recht vielen Angestellten, hat Klamotten und Mode gemacht. Schließlich musste er zur Armee. Er konnte aber nicht, konnte einfach nicht auf Menschen schießen. In Syrien musst du aber Wehrdienst leisten. Ansonsten kann es sein, dass du verschwindest. Also hat er den Leuten dort Geld gegeben, damit er seine Fabrik weiter betreiben konnte und nicht zur Armee musste. Eines Tages als er sich die regelmäßige Bestecherei nicht mehr leisten kann, bekommt er einen Freund gesteckt, dass er schleunigst das Land verlassen sollte, ansonsten wird es eng.
Also nimmt er Familie und Kind, flieht in die Türkei. Sein Vater schafft es nicht. Er liegt in der Türkei im Sterben. Er schickt seine Mutter, seine Frau mit seinem kleinen Baby vor und bleibt in der Türkei, um dem Vater…naja, das letzte Geleit zu geben. Noch sind die Grenzen offen, die Familie schafft es nach Deutschland. Sein Vater verstirbt, doch die Grenzen sind geschlossen. Bis nach Griechenland schafft er es, sitzt nun aber hier fest – getrennt von seiner Familie in Deutschland.
Das ist ein Grund, warum Frauen und Kinder alleine fliehen. Und es ist ein ebenso tragischer wie nachvollziehbarer Grund. Und ich kenne auch noch ein paar andere Geschichten, wo die Gründe andere, aber nicht weniger nachvollziehbar sind. Aber worum geht es mir hier? Um Voyeurismus? Nein, bestimmt nicht. Ich möchte sagen, dass hinter jedem Menschen der kommt ein ebenso furchtbares wie einmalig persönliches Leid steckt. Ob wir mit unseren gutbürgerlichen Standards uns anmaßen sollten, welcher Grund letztlich „gut genug“ für ein Flucht ist oder nicht? Ich glaube nicht. Es mögen vielleicht einige Leute aus unlauteren Motiven kommen, aber dennoch müssen und sollten wir zunächst jede anhören, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen.
Was mich so beeindruckt, das sei zum Schluss gesagt, ist die frohe Gesinnung, die trotzdem viele an den Tag legen. Sei es, wenn drei Syrer in meinem Auto zu „Großer Bruder“ von Zlatko und Jürgen — ja, ich weiß, aber ein Freund aus Deutschland hat mir ein paar Trash-Cds mitgebracht, Danke nochmal, Flo – hinten auf der Rückbank völlig ausrasten. Natürlich rauchend, obwohl ich bei der ersten Fahrt gesagt habe, doch bitte nur vorne zu rauchen, aber das habe ich schon lange aufgegeben.
Sei es auch nur tiefer Galgenhumor in banalen Alltagssituationen. Wenn ich mich dem einen aus Spaß in die Tür stelle, um den Weg zu versperren und er sagt: „Oh, Border closed“ . Wenn der andere durch den Planschpool watet, in dem wir ein Bierchen trinken und er freudig aus dem Pool steigt: „Yes, I crossed the Mediterranean Sea.“
Viele Grüße,
Helge