Hallo zusammen,
als ich neulich im Camp in Petra war, am Fuße des Olymps in einer wunderschönen Umgebung, aber in einem weniger erträglichen Camp, und ein paar Hilfsgüter ausgeliefert habe, wurde ich von zweierlei Dingen begrüßt. Das eine war ein ziemlich fieser Geruch, das andere war ein größerer Hilfstruck. Der feine Duft kam von einem kleinen Jeep, der mit offenem Kofferraum Anti-Mücken-Spray versprüht hat und durch das Camp gefahren ist. Weil es hier eben sehr grün und waldig ist, scheint eine kleine Mückenplage zu herrschen. Der Geruch und der Dunst liegen leicht drückend über dem Areal. Noch weiter darüber ist der höchste Berg Griechenland, der auf das Camp hinab blickt.
Das andere Begrüßungskomitee bestand aus Freiwilligen einer anderen Hilfsorganisation, die gerade ihren Truck entladen haben und noch ein bisschen mit den Kindern spielen. Viele von ihnen haben Handys in der Hand, machen Selfies mit den Kindern. Als ich mich mit einem Iren unterhalte, dessen Haut von der Sonne ähnlich rot ist, wie seine Haare, sagt er zu mir: „Wir müssen das dokumentieren. Ich habe das Gefühl, dass die Leute wirklich ihre Story erzählen wollen“, sagt er, wendet sich ab und geht mit einer weiteren Helferin weg. Ich bleibe zurück und murmle etwas ungläubig : „Mit einem Selfie?“
Versteht mich nicht falsch. Ich habe vor ein paar Monaten selbst ein Museum in Athen besucht, dort gab es eine sehr berührende Fotoausstellung, welche die persönlichen Geschichten der Flüchtlinge in einem großen Projekt rund um Migration verarbeitet hat. Und es ist auch sehr wichtig, durch solche Aktionen auf das Elend der Leute aufmerksam zu machen. Kunst kann gerne und muss vielleicht auch anklagen und solche Themen beackern. Aber findet solche Kunst auf Facebook statt? Auf Instagram? Um Likes zu bekommen? Um zu zeigen, dass man ein engagierter Helfer ist? Sorry, aber hier vor Ort habe ich ehrlich gesagt ein ganz anderes Gefühl als mein irischer Kollege. Die Leute wollen einfach nur, dass es ihnen besser geht. Dass sie voran kommen, dass sie – ach wie auch immer, ich könnte noch viel auf aufzählen. Was sie aber um Gottes Willen nicht wollen, ist einem Unbekannten ihre „Story“ erzählen und vor die Kamera gezerrt werden… Ich selber habe übrigens auch eine Kamera, die ich von meinen Eltern zum Abschluss geschenkt bekommen habe, aber die liegt – sorry, Mama – seit ein paar Monaten unangerührt in meinem Koffer. Ich erlebe einfach zu gerne und zu viel.
Die Geschichte oben habe ich gestern Kamel erzählt. Kamel ist ein syrischer Flüchtling, der seit ein paar Monaten hier ist und der Umsiedlung ausharrt. Marke: Brother from another mother. Mit dieser modischen Undercut-Zwiebel-Dutt-Frisur, wo aber die Rasur an den Seiten irgendwie vergessen wurde, läuft er fröhlich und des Englischen mächtig durch die Weltgeschichte, trotz allem was er erlebt hat. Er ist, mit seiner Palme auf dem Kopf, einfach so ein Typ, der mit jedem zu Recht kommt. Wir haben uns schon oft bis in die Nacht verquatscht. Kamel wohnt zusammen mit anderen Syrern in einer kleinen, von einer Hilfsorganisation, angemieteten Wohnung unter’m Dach.
Jedenfalls habe ich ihm die Geschichte aus Petra einmal abends erzählt. Es war recht spät, es regnete ausnahmsweise mal tierisch in Thessaloniki. Wir saßen unter dem Vordach auf dem Balkon, blickten auf die dampfenden Straßen runter und freuten uns tierisch über den Geruch bei Sommerregen. Als ich die Geschichte beendet habe, füge ich relativ energisch hinzu, dass ich die Meinung des Iren ganz und gar nicht teile. „Weißt du, das Letzte, was die Leute wollen, ist jemand, der sie permanent nach ihrer „Geschichte“ fragt. Schau mal, guck uns beide an. Wir kennen uns jetzt ganz gut, haben über viele Sachen gesprochen, persönliche Sachen, vieles, was nicht mit diesem ganzen Flüchtlingsmist zu tun hat. Und ich würde dich niemals nach deiner „Geschichte“ fragen. Weil es mir nicht zusteht. Alles was ich dazu sagen würde, wäre falsch. Weil ich mich niemals in die Situation hineinversetzen könnte, in der du gewesen bist. Weil ich niemals durch so etwas gehen musste.“
Kamel schwieg ziemlich lange, schaute noch länger nach draußen in die Nacht, blickte er mir bedächtig ins Gesicht – bis er dann sagte: „Du bist echt ein guter Typ“.
Ich schreibe das jetzt nicht, um der Welt fishing-for-compliments-mässig zu sagen, dass ich ein guter Typ bin. Keine Ahnung, weiß ich nicht, muss jeder, der mich kennt, irgendwie selber beurteilen. Oder auch nicht. Der Moment jedenfalls hat mich sehr berührt, dass gebe ich ohne rot zu werden zu.
Ich schreibe das, weil ich sagen will, dass es in dieser ganzen Kiste hier um Empathie und gegenseitiges Verständnis geht. Man muss den Leuten, die vor so viel Driss geflohen sind, Empathie entgegenbringen und sie nicht als „den Flüchtling“ behandeln, sondern als die Person, die sie eben sind. Und wenn man das mit Offenheit und Leidenschaft tut, dann kann man ihnen ein bisschen helfen und ein bisschen was an Würde zurückzugeben.
Viele Grüße,
Helge