Hallo zusammen
Ich mache heute etwas, was man in Zeiten, wo eine falsch verstandene 140 Zeilen Nachricht Shitstorms erzeugen kann, vermutlich nicht machen sollte: Ich möchte mich kritisch, ungefiltert und unvoreingenommen mit dem Thema „Voluntieren“ auseinandersetzen. Und zwar kritisch im klassischen Sinne, also im Sinne eines Für und Widers. Da ich meine Gedanken aber noch nicht bis zum Ende durchdacht habe, möchte ich das auf eine bestimme Art und Weise tun. Ich stoppe jetzt 5 Minuten und schreibe alles, was mich so beschäftigt, stichwortartig auf und verknüpfe danach alles lose miteinander. Damit man quasi in meinen Gedankenstrom – man hat das mal in neudeutsch „Stream of Conciousness“ (Leutant Gustl). Ich möchte „euch“ an meinen Gedanken teilhaben lassen, indem ich sie, einfach wie sie mir so beim Nachdenken in den Kopf kommen, locker miteinander verknüpfe. Nochmal: Das, was ich jetzt schreibe ist alles nicht der Wahrheit letzter Schluss, das ist noch nicht zu einer Meinung geformt oder Position formuliert, vielleicht schießt auch etwas mal über das Ziel hinaus, weiß ich nicht. Nur eines kann ich versprechen: Egal wie undeutlich und oder vage ich mich ausdrücke, so wie das versehentlich und völlig missverstanden einem großen Zeitgenössischen Denker und Politiker vor Kurzem passiert ist: Eine Aufruf zum Erschießen der demokratischen Präsidentschaftskandidaten kann ich im Vorhinein ausschließen. Und, p.s., auch wenn das Wort sprachlich etwas weh tut, ich schreibe, um mir etwas Zeit zu sparen, “voluntieren”.
Ich war neulich im so genannten „Elpida“ Camp, das mich nicht so richtig los lässt…Elipda, griechisch für Hoffnung, ist ein Projekt,das von der Organisation „Together for Better Days“ von privaten Geldern aus Kanada geleitet wird…Elpida war eine der ersten Organisationen auf Lesvos während der ganz heißen Zeit…Widerwillig mussten sie aufs griechische Festland umsiedeln, nachdem ein Weiterarbeiten dort nicht möglich war…Sie wollen zeigen, dass sie ein besseres „Flüchtlingscamp“ bauen und führen können, als der Staat…Dass sie, wenn es der Staat nicht hinbekommt, den Flüchtlingen menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten, es schneller und effizienter können…Einige Leute sehen das skeptisch, mögen den Ansatz nicht…Ich.…finde die Idee eigentlich nicht verkehrt…Solange es am Ende des Tages den Leuten besser geht, ist doch alles in Ordnung…Viele Wege führen ja bekanntlich zum Ziel…Wer jetzt den Weg festlegt, ob ein wegen der Wirtschaftskrise hoffnungslos überforderte, aber kämpfendes Griechenland…oder Zivilgesellschaft, oder philanthropische Stiftung, ist mir letzten Endes wurscht — solange das Ziel ist, Menschen ein bisschen mehr Würde bei ihrer Unterbringung zu geben…
Wer die Musik bezahlt, der bestimmt aber bekanntlich auch was gespielt…Ist ja auch nichts Verwerfliches…Wenn ich etwas bezahle, will ich auch wissen, wo mein Geld hingeht…600 bis 700 Leute sollen hier untergebracht werden. „Nur“ 700, damit es nicht zu viele sind, und den 700, die dort sind, ideale Bedingungen geliefert werden können…Finde ich im ersten Moment etwas komisch…Wer bestimmt, wer kommt?…Was ist mit dem 701sten?…Eigentlich eine Sache, die ein bisschen an die Obergrenzen-Diskussion erinnert…Aber…stimmt ja…Du darfst die Kapazitäten des Projekts nicht überstrapazieren, sonst ist am Ende keinem mehr geholfen, mal ganz knapp gesagt. Du kannst nicht jedem helfen, aber 700 ist schon mal ein verdammt guter Anfang, ehrlich gesagt…
Was aber mit dem 701ten passiert, das habe ich selber gesehen…Ein paar Flüchtlinge haben vor einigen Tagen versucht, in das Gebäude – eigentlich ist der Begriff Camp etwas verfehlt, die Flüchtlinge nennen es manchmal Hotel – zu kommen, davor demonstriert. Der private Sicherheitsdienst hat ihnen den Eintritt verweigert.…Das passiert also mit dem 701ten…
Was ich vielleicht schon sehe ist, dass die hier eine Insel gebaut wird…Während andere in den Camps bleiben, läuft es hier gut…Das schürt den Neid unter den Flüchtlingen…Aber muss sich ein Projekt wirklich rechtfertigen, wenn es gut läuft? Eher nicht…
Wer sich aber auch eine Insel baut, dass sind die Volunteers…Das hat mich glaube ich am meisten gestört…Sie haben einen Aufenthaltsraum, in den die Flüchtlinge nicht kommen dürfen…Auch der Kontakt mit den Flüchtlingen selbst, fällt irgendwie knapp aus. Naja, es ist eben alles auch noch Work in Progress… Sie müssen alles erst mal aufbauen und organisieren…Aber der persönliche Austausch war irgendwie schon knapp…
Was mich auch etwas gestört hat, ist – bei all dem überragend Guten, was die Leute dort verrichten – ist, dass sie genau wissen, dass sie etwas Gutes tun und einen das irgendwie spüren lassen…Du kommst an und fühlst dich ein bisschen wie bei dem Buch „The Circle“ – ich weiß, kein Meisterwerk, aber kann man schon mal lesen…Alle sind begeistert von sich, weil sie eben das tun, was sie tun. Auch der Projektmanager – ein Ende 30er oder Mitvierziger mit vollem, schnittigen grauen Haar und leuchtenden blauen Augen – hat diese, du kannst alles schaffen Aura…Ein Blick auf die Website zeigt mir gerade, dass diese auch echt gut ist und dass man leicht und problemlos voluntieren kann, aber vielleicht stört mich das irgendwie, diese Art von CV-Voluntieren. Diese ich bin mal kurz hier, dann wieder weg-Ding. Ich weiß es nicht…Nochmal: Die Arbeit, die dort geleistet wird, finde ich großartig, aber.…ich hatte nach einigen Besuchen und Hilfen dort im Camp gemischte Gefühle…ganz definieren, kann ich das noch nicht…
Und damit komme ich zum eigentlichen Thema, das ich ein bisschen an dem Elpida Privat/Staatlich Konftlikt aufhängen wollte, das Voluntieren: Ich bin ja selber ein Volunteer, ich bin ja selber nur kurz hier…Und: Ich war ja selber einer von denen, die mal kurz hier waren und dann wieder weg…Insbesondere in der ersten Woche: Ich habe teilweise drei unterschiedliche Camps täglich bis spät abends besucht, dort geholfen, Dinge verteilt und so weiter: Aber, ich habe nach der ersten Woche gemerkt: Das ist nicht gut. Nicht für dich, weil du kaputt bist und geschafft…nicht nur körperlich, sondern auch von den vielen unterschiedlichen Bildern der Not…Aber auch nicht für die Flüchtlinge vor Ort, weil so gar keine Beziehungen oder Bekanntschaften, vielleicht sogar Freundschaften entstehen können, wenn man nur ein mal dort ist und schon wieder weg…Deswegen habe ich mich nach der ersten Woche auf zwei Camps beschränkt und bin sehr froh über diese Entscheidung…Vielleicht denkt jetzt mancher, wie kann er nur, man muss doch so viel tun, wie es geht…Verstehe ich auch, aber…Naja, der Kampf gegen das Leid hier ist so groß…You have to choose your battles, so you dont loose the fight?…Jeder muss eben gucken, wie und wo er seine Energie hin investiert. Ob in den Besuch von vielen Camps, um so vielen wie es geht zu helfen. Oder, wie in meinem Fall, dann nur zwei, um dann dort aber die Leute besser kennenzulernen. Für mich ist das Weniger hier ein bisschen mehr…
Ein Freund von mir, der gerade über seiner Bachelor-Arbeit brütet – Grüße nach Maastricht, David, das wird schon – hat das mal Wenn-schon-Denn-Schon-Mensch genannt…Ihm ging es damals eher um einfachere Dinge wie Saufen, Hobbies oder ähnliches…Wenn man etwas anfängt, dann schon richtig. Oder man lässt es, Ganz oder Gar nicht eben…Und irgendwie ist es bei mir beim Volunteeren auch so… Deshalb sehe ich das Volunteeren an sich — dieses ein bis vier Monate hier sein — eher skeptisch. Wenn man wirklich etwas schaffen will, dann muss man länger hier sein.…Wenn schon Flüchtlingsarbeit, dann richtig und nicht nur auf kurze Zeit und auf Abruf……Wer weiß…
Andererseits muss man auch sehen, dass der Wechsel frischen Wind bringt, dass auch viele Flüchtlinge, auch wenn sie im Land dank der geschlossenen Grenzen fest stecken, durch Relocation, durch Flucht, durch sonst was, im Wartestand hier sind…Sie können, wie etwa der Captain aus einigen Beiträgen zuvor, auch auf ein mal weg sein…Auch, wenn sie viel zu oft viel zu lange hier in Griechenland in der Schwebe hängen…Aber für mich…du kannst nur richtig mit Herzblut und nachhaltig bei einer Sache dabei sein, wenn du…
Nah, die letzten Sekunden laufen…letzter Gedanke…Ein anderer Flüchtling, mit dem ich mich viel über dieses Thema unterhalten habe und ihm dann erzählt habe, dass ich bald nach Deutschland aufbreche, sagte zu mir: „Das ist beschissen. Jedes Mal, wenn endlich einen wirklich guten Freund gefunden hat, ist er wieder weg…Uuuund stop. Das war’s. Jeder kann sich dazu seine eigene Meinung bilden, frei nach Hape Kerkeling, für heute bin ich dann mal weg.
Viele Grüße,
Helge