Hallo zusammen,
heute möchte ich ein paar Worte über das Fußballtraining verlieren, das ich im Flüchtlingscamp in Diavata organisiere. Vorweg gesagt: Ich mache es nicht alleine. Wenn ein deutscher Heiopei wie ich, sich auf einmal vor Kinder unterschiedlichster Kulturen stellen würde, und sagen würde: „Jetzt aber mal zack, zack“, wäre das völlig verfehlt. Wir Deutschen haben schon ein paar Mal in der Historie im großen Stil versucht, anderen zu zeigen wie der Hase läuft und das ist für alle Beteiligten bekanntlich schrecklich daneben gegangen. Nein, den schlechten, schwarzen Humor jetzt mal bei Seite. Ich trete hier in den Camps niemals dominant auf, re-agiere erst ein mal bevor ich vor einer Gruppe agiere. Ich sage den Kindern nie herrisch, was und wie etwas zu tun sei beim Training und versuche auch nicht, auf Teufel komm raus ein wöchentliches Fußballtraining zu arrangieren.
Muss ich aber auch gar nicht. Denn: Es gab schon vor mir und wird auch nach mir eine Fußballmannschaft im Camp. Es ist sogar schon so weit, dass das Team des einen Camps gegen das Team des anderen Camps spielt, aber dazu später mehr.
Es war, das habe ich glaube ich, schon in einem anderen Eintrag geschrieben, nicht ganz einfach als Neuling das Training auszurichten. Anfangs habe ich einfach mit ein paar Kindern gekickt. Mit der Zeit kamen schließlich mehr und mehr Kinder bis ich schließlich den „Captain“ kennengelernt habe. Wie sein Name ist, weiß ich trotz regelmäßigem WhatsApp Kontakt bis heute nicht. Er wird von allen nur Captain genannt. Der Captain jedenfalls – Vorsicht, keine Parallelen zu How I met your Mother – ist ein großgewachsener, Schuhgröße 46 tragender Syrer, der hier im Camp den Trainer und Schiedsrichter in Personalunion gibt. Allein schon wegen seiner Größe hat er Ausstrahlung. Als ich mich aber mal mit ihm verquatscht habe und ihn im Schach geschlagen habe – meinem Opa, mit dem ich früher eine Partie nach der anderen gespielt habe sei Dank – merke ich, dass er ein freundlicher Kerl ist mit einem noch freundlicheren, aber schüchternem Lachen.
Nicht so schüchtern ist er im Umgang mit den Kindern, aber die Kinder respektieren ihn auf eine gesunde Art und Weise. Na klar, sie freuen sich, wenn sie ein paar Stunden Ablenkung durch Fußball bekommen. Das war, ist, und wird auch immer das tolle am Sport allgemein und am Fußball im Speziellen sein: Wirf einen Ball in die Mitte, stell’ ein paar Hütchen auf und auf einmal ist es egal, wer, wo herkommt oder was für eine Sprache er spricht. So ist es auch bei mir. Auf einmal finde ich mich auf dem Aschen/Steinplatz wieder und bin bei den Kindern in der Truppe. Alle rufen mich nur „Germany“. Nur ab und zu muss ich aufschauen und mich kneifen – denn ich bin hier ja gar nicht auf dem heimischen Bolzplatz, sondern in einem staubig-heißen Flüchtlingscamps irgendwo im Norden Griechenlands.
Nach ein paar Tagen und Spielen erwische ich mich, wie ich auch ohne die restlichen Freiwilligen, die drei mal die Woche gemeinsam in einem Bus ankommen – alleine ins Camp fahre. So kommt es, dass der Captain an einem Tag nicht da ist und ich das „Training“ mache. Ich engagiere einen kleinen Jungen als Übersetzer und mache ein paar Übungen. Merke aber, dass die Kids eigentlich spielen wollen. Wer will es ihnen verdenken?
Also nehme ich nach einer halben Stunde die Leibchen in die Hand, die wir gemeinsam in der Werkstatt bei NAOMI von Flüchtligen für Flüchtlinge genäht haben, teile drei Mannschaften ein. Wir spielen – mein alter Sportlehrer wäre stolz auf mich – Blitzfußball. Regel: Sobald eine Mannschaft ein Tor schießt, gehen die Verlierer vom Feld und die Gewinner spielen gegen die dritte Truppe. Einfaches System, großer Spaß. Und so spielen wir bis es dunkel wird und ich werde am nächsten Tag zum Spiel eingeladen. Die Mannschaft des Camps empfängt ein Team aus einem anderen Camp. Dass mir dies absurd vorkommt, ja ziemlich traurig, weil es zeigt, dass sich die Menschen mit den Strukturen abgefunden haben, brauche ich glaube ich nicht zu sagen. Dass es aber auch einfach nur eine schöne Möglichkeit für die Leute ist, ein bisschen Sport und Wettkampf zu haben, ist aber genauso wahr.
Das große Spiel jedenfalls am nächsten Tag beginnt spät am Abend, weil es vorher schlicht zu heiß ist. Es versammeln sich unfassbar viele Zuschauer an den nicht vorhandenen Seitenlinien. Ich sitze neben dem Captain auf einer Decke in einer Traube von Kindern. Die Stimmung ist, gelinde gesagt, Weltklasse. Davon könnte sich die Bundesliga bei Spielen wie Hoffenheim gegen Wolfsburg mal eine Scheibe abschneiden. Das Spiel gewinnt das Heimteam aus Divata in einem epischen Match 5:3 nach einem 0:3 Rückstand. Ich freue mich mit den Leuten nach dem Spiel auf dem Platz. Ich würde mir ja auch, wie das bei großen Spielen bei den Fans und den Platzstürmungen so üblich ist, ein Stück vom Rasen oder vom Netz sichern, nur leider gibt es hier weder das Eine noch das Andere.
Mitten zwischen den Kindern tippt mir auf einmal ein andere Helferin auf die Schulter, schaut mich mit einem schiefen Lächeln an und sagt: „Helge, willst du hier übernachten? Der Bus ist da“. Richtig, ich darf ja gehen.
Grüße,
Helge
P.S. und Nachtrag: Der Captain ist mittlerweile im Rahmen des Relocation-Schemes mit seiner Frau und den zweieinhalb Kindern, ja, ein drittes ist unterwegs, auf dem Weg nach Deutschland. Wir stehen noch in Kontakt. Ich hoffe, wir sehen uns in Deutschland wieder.