Drit­ter Tagebucheintrag

Ein fröh­li­ches Hal­lo in die Runde,

ich star­te heu­te mal mit einer Fra­ge: Was haben Del­phi und Her­so gemein­sam? Ja, bei­de Orte lie­gen in Grie­chen­land, so viel sei schon mal ver­ra­ten. Der eine als anti­ker Nabel der Welt mit sei­nem Ora­kel bekannt, der ande­re als klei­nes Dorf im Nor­den Grie­chen­lands zuge­ge­be­ner­ma­ßen eher weni­ger. Ich will aber auf etwas ande­res hinaus.

Jeden­falls habe ich aus unter­schied­li­chen Grün­den bei­de besucht. In Del­phi war ich neu­lich bei einer Kon­fe­renz, dem drit­ten grie­chisch-deut­schen Medi­en­dia­log der Süd­ost­eu­ro­pa Gesell­schaft, in der ich nun auch Mit­glied bin. Im Mai tausch­ten sich dort Exper­ten aus Medi­en, Gesell­schaft, Wis­sen­schaft und Poli­tik aus, um Ursa­chen, Grün­de, Irrun­gen und Wir­run­gen eben der Flüchtlings“krise“ zu dis­ku­tie­ren. Es war, dort hoch oben in den Ber­gen in Del­phi mit atem­be­rau­bend schö­nen Blick, eine wirk­lich gelun­ge­ne Kon­fe­renz, aus der ich per­sön­lich viel mit­ge­nom­men habe. Wer mag kann, auch mei­nen Bericht in der nächs­ten Aus­ga­be der Süd­ost­eu­ro­pa-Mit­tei­lun­gen mal durchlesen.

Jetzt fragt sich der ein oder ande­re, war­um ich hier die Aus­sicht und Land­schaft von Del­phi anspre­che. Auch wenn ich ger­ne wan­dern gehe ‑ich habe mit mei­nem Bru­der zusam­men vor kur­zem den Olymp erklom­men — bin ich kein Land­schafts­fach­mann. Was ich aber sagen will, ist – um mal die Wor­te eines Kon­fe­ren­zeil­neh­mers zu lei­hen – dass es dort oben im „Euro­pean Cul­tu­re Cent­re Del­phi“ bei gesit­te­ten Dis­kus­sio­nen und köst­li­chem Essen wirk­lich schwie­ri­ger vor­zu­stel­len war, dass irgend­ei­ne Form von Kri­se existiert.

Her­so wie­der­um hat auch ein Cul­tu­re Cent­re. Es sitzt aber nicht male­risch an den Hän­gen eines Gebir­ges. Viel­mehr liegt es, gezim­mert aus Sperr­holz und Bal­ken, auf einer ziem­lich fla­chen ohne Schat­ten Ebe­ne. Es liegt in Mit­ten eines Flüchtlingscamps.

Im „Cul­tu­re Cent­re Her­so“ wie es in bun­ten Let­tern über dem Ein­gang steht, erhal­ten Kin­der Schul‑, Thea­ter- und Sprach­un­ter­richt. Sie ler­nen zu ler­nen. Von eini­gen NGOs und frei­wil­li­gen Hel­fern gebaut, ist es eine klei­ne Oase an Struk­tur und Bil­dung mit einem noch klei­ne­ren Gar­ten, der von den Flücht­lin­gen sel­ber her­an­ge­zo­gen wur­de. Ich spie­le hier ein biss­chen Fuß­ball und Schach mit den Kin­dern und orga­ni­sie­re eini­ge Rol­len- und Thea­ter­spie­le mit den ande­ren Frei­wil­li­gen. Die Kin­der hören gut zu, zie­hen noch bes­ser mit, nur der Beginn der Stun­de — bis alle sit­zen — und das Ende sind immer recht hektisch.

Nach dem Unter­richt, habe ich mich in den Schat­ten einer Pinie – oder Zypres­se, wie gesagt, kein Land­schafts­exper­te — zurück­ge­zo­gen und las­se die Situa­ti­on ein biss­chen auf mich wir­ken, wäh­rend ich schrei­be. Es ist sehr win­dig und trotz­dem brül­lend heiß. Neben der klei­nen Hüt­te, wo wir unse­ren Unter­richt geben ver­ziert Zeki, ein Flücht­ling aus Syri­en, mit fei­nen Pin­seln einen Con­tai­ner mit beein­dru­cken­den Bil­dern. Ich ver­su­che spä­ter mal, ein Bild hoch­zu­la­den. Am Ein­gang des Camps sit­zen Poli­zei und Mili­tär und rau­chen und klö­nen im ein­zi­gen grö­ße­ren Schat­ten rund um eine Ansamm­lung von Bäu­men, ich erspa­re mir dies­mal eine genaue­re Beschrei­bung. Sie wir­ken direkt am Ein­gang in einem leicht ein­ge­zäun­ten Bereich ziem­lich prä­sent. Eini­ge küm­mern sich um den „Check-In“ und „Check-Out“ der Hel­fer, die das Camp betre­ten. Wie im Hotel, nur der Room-Ser­vice fällt auf unbe­stimm­te Zeit aus.

Beglei­tet wird die Mit­tags­hit­ze plötz­lich von leich­ten Schlä­gen aus der Fer­ne. Etwas wei­ter liegt wohl ein Mili­tär­übungs­platz und den Jungs und – Moment, gibt es tat­säch­lich Mädels in der grie­chi­schen Armee, muss ich mal nach­se­hen – fällt tat­säch­lich nichts Bes­se­res und Unsen­si­ble­res ein, als neben einem Flücht­lings­camp ein biss­chen rum­zu­schie­ßen. Die Kin­der lau­fen eilig zu den Zäu­nen und schau­en dem Rauch hinterher.

Ich habe, und damit will ich für heu­te schlie­ßen, kürz­lich in einem schö­nen Buch, das mir von mei­nen lie­ben Brü­dern emp­foh­len wur­de, den schö­nen Satz gele­sen: „Weis­heit wird über­schätzt. Weis­heit ist nur Klug­heit und Schläue ohne Kraft.“ Manch­mal, über­le­ge ich mir gera­de, wo ich auf das Cul­tu­re Cent­re Her­so schaue und an die Kon­fe­renz in Del­phi den­ken muss – ist es mit der Wis­sen­schaft und der Arbeit „im Feld“ auch so. Das sind zwei Wel­ten. Ver­steht mich nicht falsch, es braucht bei­de, wirk­lich. Sowohl die eine, mit dem objek­ti­ven, wis­sen­schaft­li­chen Blick, die Sta­tis­ti­ken, den Aus­tausch zwi­schen Exper­ten hoch oben in den Ber­gen in Del­phi; als auch die ande­re, mit dem Enga­ge­ment vor Ort, auf das dich aller­dings kei­ne abs­trak­te Kon­fe­renz so wirk­lich kon­kret vor­be­rei­tet Ich füh­le mich in der ande­ren in der Arbeit vor Ort mit den Kin­dern und Jugend­li­chen gera­de jeden­falls wohler.

Apro­pos Kin­der: Gera­de läuft eines der Kin­der — wisst ihr noch, die sich wie Schau­lus­ti­ge an die Zäu­ne gehan­gen haben, um den Rauch der Schüs­se vom Mili­tär­camp zu beob­ach­ten – an mir vor­bei. Der Jun­ge lächelt über bei­de Ohren, deu­tet auf den Zaun und ruft grin­send: „Syria, Syria“.

Vie­le Grüße,

Hel­ge